Wording in der sogenannten "Tiermedizin"

Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass Sprache das Denken formt. Aus diesem Grunde ist schon der Begriff "Tiermedizin" in der Überschrift bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Es soll zum Ausdruck bringen, dass, wenn von "Medizin" die Rede ist, automatisch die Heilkunde für exakt eine Spezies assoziiert wird. Wenn von "Ärzt*innen" die Rede ist, wird analog im Allgemeinen automatisch angenommen, es handele sich um eine Person, die Humanmedizin praktiziert - die Medizin für eine Spezies, den Menschen, meist eingegrenzt auf ein Spezialgebiet.
Die sog. "Tiermedizin" wird als Medizin für alle anderen Spezies außer einer Säugetierspezies angesehen. Es sollte sich von selbst erklären, dass es für eine einzelne Person wohl unmöglich ist, für zahlreiche, doch sehr unterschiedliche Spezies, von der Biene über Spinnen, Fische, Säugetiere aller Art bis hin zum Elefanten, möglichst noch auf allen Spezialgebieten, gute Medizin anzubieten, und die extreme Breite des Studiums nicht unbedingt dazu beiträgt, dass die Studierenden in der Lage sind, Spezialwissen zu erwerben. Dass also dieser Medizinbereich im Vergleich zur Humanmedizin oft ein wenig abgewertet wird, liegt wohl auch in dieser Tatsache begründet. Es ist kaum anzunehmen, dass durchschnittliche Studierende der Tiermedizin eine um ein Vielfaches höhere kognitive Kapazität besitzen als durchschnittliche Studierende der Humanmedizin.

Sprachliche Auffälligkeiten im Vergleich am Beispiel Deutsch/Englisch

Die deutsche Sprache versucht häufig, im Vergleich zu anderen Sprachen, eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Spezies allein durch die Verwendung bestimmter Substantive und Verben herzustellen, die für das Verständnis der eigentlichen Aussage nicht notwendig sind. Andere Sprachen können darauf auch verzichten - offensichtlich ohne Verlust an Verständlichkeit der Aussage, die übermittelt werden soll.

Beispiele:

  • deutsch: essen vs. fressen, englisch: to eat (für alle Spezies)
  • deutsch: Maul vs. Mund, englisch: mouth (für alle Spezies)
  • deutsch: trächtig vs. schwanger, englisch: pregnant (für alle Spezies)
  • "werfen" oder gar "abferkeln" statt "gebären"
  • "Lefze" statt "(Ober-)Lippe"
... und diese Liste ließe sich noch problemlos um viele Begriffe, nahezu ad infinitum, erweitern. Im Gegenteil scheint die Verwendung gerade letztgenannter Termini technici und derer Verwandter die Lesbarkeit des Textes eher zu vermindern statt zu verbessern.

Mögliche Ursachen für diese Differenzierung

Hier bleibt lediglich die Möglichkeit der Spekulation. Untersuchungen darüber gibt es bislang wohl noch nicht. Auch die Lesbarkeit/Verständlichkeit der kommunizierten Aussage kann nicht kausal sein, denn andere Sprachen kommen problemlos ohne diese Differenzierung aus. Auffällig ist jedoch, dass die nichtmenschlichen Individuen zugeschriebenen Begriffe im Deutschen fast immer im Zusammenhang mit Schimpfworten oder in beleidigender Absicht gegenüber anderen Individuen verwendet werden ("Maul", "fressen" etc.).
Sehr merkwürdig ist, dass sich inzwischen häufig des Diminutivs bedient wird. So sehen wir in letzter Zeit häufig Medikationsanweisungen wie "ins Mäulchen eingeben". Weshalb hat der Patient nicht einfach einen Mund, sondern ein "Mäulchen"?
Anzunehmen ist, dass dadurch eine emotionale Distanzierung vom Subjekt der für nichtmenschliche Lebewesen gebräuchlichen Begriffe erzielt werden soll. Es ist leichter, ein "Ferkel" zu töten als ein "Schweinebaby".

Schreiben von Patientennamen in Anführungszeichen

Auch hier stellt sich die Frage, weshalb der Name des Patienten in Anführungszeichen geschrieben wird. Es ist nicht anzunehmen, dass es der besseren Verständlichkeit der Aussage geschuldet ist.
So ist nicht nachvollziehbar, dass beispielsweise bei der Erstellung von Arztberichten oder auch bei der Beschriftung von Medikamentenabgabetüten wie folgt vorgegangen wird:
„Mustermensch, Ratte "Rattus"“ statt „Rattus Mustermensch“
Es sollte allein aufgrund der Nennung des Patientennamens klar sein, dass sich sowohl Arztberichte als auch Angaben zur Anwendung abgegebener Medikamente nicht auf die tierhaltende Person, sondern auf den/die Patient/in, in diesem Fall eine Ratte mit Namen "Rattus" bezieht. Es wird wohl kaum anzunehmen sein, dass die patientenhaltende Person mit dem Familiennamen "Mustermensch" die Angaben auf sich persönlich bezieht und den - exemplarisch - Schleimlöser, der der Ratte mit Namen Rattus verschrieben wurde, selbst einnimmt. Ein objektiver Vorteil dieser Formulierung lässt sich somit nicht erkennen.

Verwendung der Begriffe "Besitzer" etc.

In diesem Bereich stellen sich ebenfalls einige Fragen.
Auch wenn - leider - nichtmenschliche Lebewesen rechtlich immer noch als Sachen, wenn auch mit besonderen Eigenschaften gehandhabt werden, so sollte doch in Erwägung gezogen werden, dass viele Patienten Familienmitglieder sind und von ihren menschlichen Angehörigen auch als solche betrachtet werden.
Es ist daher wenig nachvollziehbar, dass eine Person "Besitzer/in" eines Lebewesens egal welcher Spezies ist, auch wenn dies derzeit formaljuristisch noch so bezeichnet wird. Für uns ist klar, dass wir im privaten Bereich keine Lebewesen "besitzen", sondern allenfalls deren "caregiver" sind.

Gibt es ein "Einschläfern"?

Nach unserer Überzeugung nicht.
Es handelt sich bei diesem Begriff um einen ausgesprochenen Euphemismus.
Der Abkürzung von Sterbeprozessen, beispielsweise Ersticken aufgrund eines inoperablen Lungentumors ohne jegliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung, soll hier keinesfalls die Berechtigung abgesprochen werden. Dann nennen wir das jedoch nicht "Einschläfern", sondern "Sterbehilfe".
Leider hält sich aber auch oft noch die Überzeugung, dass auch, wenn ein Patient beispielsweise "unwirtschaftlich", nicht mehr "nutzbar" ist, dieser "eingeschläfert" werden dürfe (Beispiel: ein nicht mehr nutzbares sog. "Turnierpferd"), zu Studienzeiten des Praxisgründers in den 90er-Jahren sogar dann noch gerechtfertigt, wenn beispielsweise eine Zuchthündin unfruchtbar geworden war, so zumindest damals noch gelegentlich vertretene Lehrmeinung. (Anmerkung, wir behandeln ohnehin keine Pferde, und Züchter auch anderer Spezies sind in dieser Praxis allenfalls willkommen, um das züchterische Unternehmen medizinisch beenden zu lassen).
Diese Euphemismen möchten wir nicht mittragen.
Wir leisten dann Sterbehilfe, wenn sich ein Patient in einem unabwendbaren und qualvollen Sterbeprozess befindet, beispielsweise nach Autounfall mit Verletzungen, die ein Überleben ausschließen, oder auch bei Erreichen der letzten Stadien einer unheilbaren Erkrankung.
Was wir ablehnen, ist die konveniente Einleitung eines Sterbeprozesses, die der Patient in dieser Form - aller Vermutung nach - nicht gewünscht hätte.
Im übrigen schon gar nicht terminiert, d.h.: der Patient bekommt einen Tötungstermin nach Zeitplan der Praxis, beispielsweise "in drei Tagen um 10:30". Das ist in unserer Praxis ausgeschlossen. Sterbehilfe ist i.d.R. sehr akut zu leisten, und niemand ist in der Lage, die gesundheitliche Situation eines Patienten, der jetzt offensichtlich noch durchaus nicht sterbend ist (sonst müsste ja sofort Sterbehilfe geleistet werden), mehrere Tage im Voraus zu erahnen. Darüber hinaus scheint es geboten, präzise den Begriff zu verwenden, der dem Vorgang entspricht, über den berichtet wird. Eine Tötung auf Verlangen (der Angehörigen) oder die Tötung sogenannter nutzlos gewordener "Nutztiere" als "Einschläfern" zu bezeichnen, scheint ebenso falsch, wie die Verkürzung eines bereits ablaufenden Sterbevorgangs so zu bezeichnen. Ersteres ist eine Tötung, ähnlich wie eine "Schlachtung", die wohl auch besser als "Tötung" (möglicherweise aus niedrigen Beweggründen?) definiert würde; letzteres ist Sterbehilfe. In jedem Fall wirkt diese Bezeichnung irreführend.

"Züchterfrei?"

Es hat sich herausgestellt, dass die Aussage, wir seien eine "züchterfreie Praxis", mitunter falsch verstanden wird.
Gemeint ist: wir möchten durch unser Handeln nicht unterstützen, dass Personen sich an der Vermehrung von Lebewesen bereichern. Möchten Sie also diese oder jene Katzenrasse, Mäuse, Ratten etc. vermehren und wünschen unsere Unterstützung dabei, ist dies nicht empfehlenswert.
Anders verhält es sich, wenn Sie beispielsweise bei Züchtern ein Lebewesen "gekauft" haben (unsere Meinung: Lebewesen sind keine Handelsware) und dieses nun erkrankt ist. Fehler geschehen, und auch wir haben teilweise schon, mit sehr schlechtem Gewissen, "Mitleidskäufe" z.B. schwer erkrankter Mäuse getätigt, da anzunehmen war, dass sie in den Zoomärkten, in denen sie angeboten wurden, ansonsten nicht halbwegs gesund (oder überhaupt) weiterleben könnten. Die philosophische Frage bleibt hier natürlich bestehen. Hierzu mehr in einem Folgebeitrag. Kurz zusammengefasst, für unsere Zwecke versuchen wir nur dort einzukaufen, wo keine Lebewesen als Handelsware angeboten werden. Wir möchten Unternehmen, für die ein lebendes Individuum sich qualitativ nicht von einem Sack Heu unterscheidet, nicht unterstützen.

Sprache formt das Denken

Fazit dieses kleinen Exkurses ist, dass wir der Überzeugung sind, dass Sprache das Denken formt. Aus diesem Grunde verwenden wir in praxi präzise, aber nicht despektierliche Sprache. Gutachten werden beispielsweise nicht über „Mustermensch, Ratte "Rattus"“ verfasst, sondern über „Ratte Rattus Mustermensch“. Der Rezipient weiß in diesem Fall ebenso, dass das Gutachten über den Rattenpatienten und nicht über die menschliche Begleitperson verfasst wurde, was sich ja alleine schon aus dem Kontext erschließt.
Auch vermeiden wir diskriminierende Begriffe wie "fressen", "saufen" u.a. nach Möglichkeit, da wir davon überzeugt sind, dass möglicherweise manche Menschen zu diesen Tätigkeiten fähig sind, unsere Patienten jedoch nicht.
Leider lässt sich dies nicht immer vermeiden. Auch wir sind entsprechend sozialisiert worden, so dass auch hier Fehler unterlaufen können. Allerdings versuchen wir, den Patienten denselben Respekt wie ihren Bezugspersonen entgegenzubringen und hier nicht sprachlich diskriminierend zu wirken.